Die antiretrovirale Therapie (ART) hat die Lebenserwartung von Menschen mit HIV erheblich verlängert und die Krankheitslast reduziert. Jedoch geht sie mit metabolischen Nebenwirkungen einher, darunter eine auffällige Gewichtszunahme bei einigen Patienten. Neuere Studien zeigen, dass das Mikrobiom des Darms eine wichtige Rolle bei diesen Prozessen spielen könnte. Dieser Artikel beleuchtet die Mechanismen der Gewichtszunahme unter ART und untersucht, wie das Mikrobiom dazu beiträgt.

Ursachen der Gewichtszunahme unter ART

Die Gewichtszunahme bei HIV-Patienten unter ART ist ein komplexes Phänomen, das durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird:
1. Medikamentenspezifische Effekte
Die ART kann die Insulinsensitivität beeinträchtigen, wodurch die Speicherung von Fettgewebe gefördert wird. Besonders ausgeprägt ist dies bei der Kombination von der ART mit bereits bestehenden Risikofaktoren wie Diabetes oder Übergewicht.

Ältere Medikamente, wie Proteaseinhibitoren und Nucleosidanaloga (z. B. Stavudin) führten zu Fettumverteilungen (Lipodystrophie), die häufig mit Gewichtszunahme assoziiert waren, weswegen heutzutage in den meisten Fällen auf andere Wirkstoffe umgestellt wurde. 

Neuere Substanzen wie Integrase-Inhibitoren Bictegravir (z.B. Biktarvy®) und Dolutegravir (z.B. Dovato®) scheinen zwar metabolisch günstiger zu sein, sind jedoch ebenfalls mit einer Zunahme des Körpergewichts verbunden, insbesondere bei Patienten mit späten Diagnosen und einer stark reduzierten Immunfunktionsresistenz und Stoffwechselveränderungen. Jedoch gibt es auch zwischen diesen beiden Medikamenten Unterschiede. Neue Erkenntnisse bietet eine Studie aus Spanien, welche signifikante Vorteile in Bezug auf eine geringere Gewichtszunahme unter der Therapie mit DTG/3TC (z.B. Dovato®) zu B/F/TAF (z.B. Biktarvy®) herausfand. So stieg das mittlere Gewicht nach 48 Tagen unter der B/F/TAF um rund das Doppelte an, als unter der Therapie mit DTG/3TC. Auch nahmen unter B/F/TAF mit rund 29%, mehr Personen über 5% des eigenen Körpergewichts zu. Bei DTG/3TC waren es nur 20%. 

2. Immunprozesse
Bei Patienten mit unbehandelter HIV-Infektion sind Entzündungsmarker oft erhöht. Die ART normalisiert diese Entzündungen, was paradoxerweise zu einer Umverteilung von Energie und Fett führt. Zudem kann die Erholung des Immunsystems den Stoffwechsel beeinflussen und zu einer erhöhten Fettspeicherung führen.

3. Verbesserung des Allgemeinen Zustandes/Gesundheit
HIV-Patienten mit späten Diagnosen nehmen nach Beginn der ART oft an Gewicht zu, da sie durch die Behandlung eine bessere Gesundheitslage und einen gesteigerten Appetit erleben.

Das veränderte Mikrobiom als weiterer Einflussfaktor
Das Mikrobiom spielt eine zentrale Rolle bei Stoffwechselprozessen, der Energieverwertung und der Regulierung des Immunsystems. Studien haben gezeigt, dass das Mikrobiom bei HIV-Patienten sowohl durch die Krankheit selbst als auch durch die Behandlung verändert wird.

1. Veränderte Mikrobiom-Zusammensetzung durch HIV und ART
Die HIV-Infektion stört das Gleichgewicht der Darmflora (Dysbiose), was zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmwand, systemischen Entzündungen und metabolischen Veränderungen führt.


Die ART kann zwar die virale Belastung senken, wirkt sich jedoch auch auf das Mikrobiom aus. Einige Medikamente fördern das Wachstum von Bakterien, die mit Gewichtszunahme und Insulinresistenz assoziiert sind. 

2. Einfluss des Mikrobioms auf metabolische Prozesse
Studien zeigen, dass ein Ungleichgewicht im Mikrobiom die Energieaufnahme aus der Nahrung erhöhen kann. Einige Bakterienarten fördern die Umwandlung von unverdaulichen Kohlenhydraten in kurzkettige Fettsäuren, die vom Körper als Energie gespeichert werden.
Bestimmte bakterielle Metaboliten können Entzündungen verstärken und die Insulinsensitivität herabsetzen, was zur Gewichtszunahme beiträgt.

3. Potenzial von Probiotika
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine gezielte Beeinflussung des Mikrobioms durch Probiotika das metabolische Profil von HIV-Patienten verbessern könnte. Probiotika können Entzündungen reduzieren, die Darmbarriere stärken und möglicherweise die Gewichtszunahme unter ART abschwächen.

Individuellere Therapieansätze
Die Gewichtszunahme unter ART ist nicht nur äußerlich belastend, sondern erhöht auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes. Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Gewichtszunahme bietet neue therapeutische Ansätze:

• Personalisierte ART-Regimes: Die Auswahl von Medikamenten, die das Risiko für metabolische Nebenwirkungen erhöhen, minimieren.
• Mikrobiom-Therapien: Der Einsatz von Probiotika oder die Umstellung auf probiotische Ernährung zur Stabilisierung der Darmflora.

Probiotische Lebensmittel wie Knoblauch, Zwiebeln, Bananen, aber auch fermentierte Produkte, können gut in den Essensplan mit eingebaut werden. Daneben sollte auch auf eine ballaststoffreiche Ernährung der Fokus gelegt werden, mit Vollkornprodukten, viel Gemüse und Obst.

Auch bei probiotischem Jogurt konnte eine positive Auswirkung auf das Immunsystem von HIV-Infizierten nachgewiesen werden. So beobachtete eine Studie, dass es in Tansania in einer einkommensschwachen Region durch Konsumieren von Joghurt, der von der dortigen Bevölkerung selbst hergestellte worden war, bei HIV-Infizierten zu einer Steigerung der CD4-Immunzellen kam.

Bei Probiotika aus Nahrungsergänzungsmitteln gibt es noch zu wenige Daten für spezielle Empfehlungen. Tendenziell sind aber qualitative Produkte mit Bakterienkulturen von Lactobacillus und Bifidobacterium empfehlenswert. Diese finden sich z.B. in Orthomol Pro 6, Kijimea K53 Advance und OMNi-BiOTiC® SR-9. 

• Regelmäßiges Monitoring: Überwachung von Gewicht, Insulinsensitivität und Entzündungsmarkern bei HIV-Patienten.

Fazit
Die Gewichtszunahme unter ART ist ein multifaktorielles Problem, das durch Stoffwechselveränderungen, Medikamenteneffekte und die Wiederherstellung der Immunfunktion beeinflusst wird. Das Mikrobiom kann eine Schlüsselrolle in diesen Prozessen spielen und eröffnet neue Möglichkeiten für zusätzliche Herangehensweisen neben der medikamentösen Therapie. Zukünftige Forschungen sollten darauf abzielen, personalisierte Ansätze zu entwickeln, um das metabolische Risiko für HIV-Patienten zu minimieren.

Quelle: www.nature.com/articles/s41598-024-68479-4; www.infectionandmore.de/authcontent/2024-3/Infect-m_3_24_Spezial_ViiV_Dovato.pdf; www.nutraingredients.com/Article/2016/09/08/Gut-bacteria-s-impact-on-HIV-patients-opens-door-for-probiotic-intervention; www.aerzteblatt.de/archiv/26132/Stoffwechselstoerungen-als-Nebenwirkung-der-antiretroviralen-Therapie